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Kampagne in eigener Sache – gegen die tägliche Schikane auf Zürichs Strassen

Letzten Oktober erhielten wir Freitags einen Brief, in dem wir darauf hingewiesen wurde, ab Montag sei unsere Strasse für einen sechsmonatigen Versuch sieben Stunden lang täglich durch zwei Barrieren für den motorisierten Verkehr gesperrt. Es gebe zu viel “Schleichverkehr” in unserer als Quartierstrasse deklarierten Verbindungsstrasse zwischen dem industriegebiet Binz und dem Goldbrunnenplatz. Ich dachte zuerst, das müsse ein Missverständnis sein, und kontaktierte das Tiefbauamt der Stadt Zürich, um in Erfahrung zu bringen, wie wir Anwohner und die hier arbeitende Bevölkerung die Schranken öffnen könnte. Antwort: nicht vorgesehen. Auch uns Anwohnern wurde die Benutzung unserer Strasse unmöglich gemacht. Schlaflose Nächste angesichts von so viel Willkür, Bevormundung und Ohnmacht waren die Folge.

Ein paar Wochen später machte ich mich auf die Suche nach Verbündeten und fand sie in der Buchbinderei Renfer, einem kleinen Familienbetrieb direkt an der Barriere. Diese alteingesessenen Quartierbewohner bekamen nun den ganzen Lärm, die Luftverschmutzung und den Ärger all der Autofahrer ab, die völlig überrascht vor einer geschlossenen Barriere standen und die Punktlichkeit ihres Ankommens am jeweiligen Ziel bachab schwimmen sahen… Die meisten wendeten sehr schnell und fuhren mit überhöhtem Tempo zurück. Überhaupt waren die Folgen dieses Versuchs, der der Verkehrsberuhigung dienen sollte, katastrophal: Die Barrikaden führten zu mehr Verkehr und für uns Anwohner zu mehr Lärm und mehr Luftverschmutzung. Sie erhöhten das Unfallrisiko, weil überraschte Autofahrer mit erhöhter Geschwindigkeit zurück rasten oder die Barrikaden ignorierten und über den Fussgängerweg fuhren. Einigen Anwohnern wurde mehrfach der Gartenzaun beschädigt. Im gesamten Wohnviertel wurden die Einbahnstrassen missachtet, Fahrzeuge kamen mit hoher Geschwindigkeit aus der falschen Richtung an einem vorbeigeschossen. Hätte ein Ambulanzwagen durch die Haldenstrasse müssen, wären wertvolle Minuten – und möglicherweise sogar Menschenleben – verloren gegangen.

Nach einer Rücksprache mit Gemeinderätin Cäcilia Hänni (FDP), die, wie ich von den Renfers erfuhr, ebenfalls aktiv in dieser Sache war, luden wir zu einer Gründungsveranstaltung für eine Interessengemeinschaft ein. So wurde am 19. Dezember 2011 die Interessengemeinschaft Freie Zufahrt Haldenstrasse gegründet, zu Beginn mit 22 Mitgliedern, heute sind wir schon 39.

Der Rest war Kampagnen-Handwerk: WordPress-basierte Website (www.FreieDurchfahrt.ch), Medienarbeit, eigene Verkehrszählungen, Kontakt mit den Behörden, Unterschriftensammlung für eine Petition. Denn die Stadt will noch diesen Monat entscheiden, wie es mit unserer Strasse weitergehen soll. Zur Strategie möchte ich mich nicht äussern, da wir sehr engagierte und auch in politischen Dingen erfahrene Gegner haben, die am liebsten das ganze Quartier mit Barrieren zupflastern würden. Ausser, dass wir für kreative Lösungen plädieren, die die Interessen aller berücksichtigen und in der Kommunikation auch kreative Lösungsfindung als Thema behandeln – frei nach Edward de Bonos Lateralem Denken.

Zudem ist es kein Geheimnis, dass wir als strategisches Thema die Verkehrspolitik der Stadt Zürich insgesamt aufgegriffen haben. Denn Durchgangsverkehr in den Quartierstrassen entsteht vor allem dann, wenn die Hautpstrassen verstopft sind. Und dass die Stadt Zürich den täglichen Stau bewusst und gezielt herbeiführt, ist ein offenes Geheimnis. Gegenüber der New York Times gab ein Zürcher Verkehrsplaner letztes Jahr offen zu, dass man sogar Überstunden mache, um möglichst viel Stau zu produzieren. (Er wurde dann ganz schnell zurückgepfiffen.) Stau bedeutet mehr Lärm und eine höhere Luftbelastung. Aus ökologischen Gründen könnte man das gut finden, wenn man annehmen würde, dass es dazu führen würde, dass weniger Personen Auto fahren. Dem ist aber nicht so. Wir sind überzeugt, wer heute noch Auto fährt, tut dies, weil er es muss. Somit werden die Leute unnötig gestresst. Hinzu kommt, dass ja auch der öffentliche Verkehr an der Kapazitätsgrenze ist. Vorbei sind die Zeiten, als ich noch Tram fuhr, um in Ruhe im Tram arbeiten zu können. Heute kann man froh sein, wenn es nicht zu eng ist, um sms schreiben zu können. Da ist man als ÖV-Benutzer für jeden Autofahrer dankbar..

Vorgestern durften wir Stadträting Ruth Genner unsere Petition überreichen. Mit 918 Unterschriften (heute schon 922, es kommen immer noch weiche rein) haben wir deutlich mehr als die Barrikaden-Fans. Wir sind gespannt, ob die Stadt dies berücksichtigt.

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