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Covid-Massnahmenbekämpfung und Referendum sind Freiheitsvergiftung

Es sei «das grundlegende Recht jedes Einzelnen zu entscheiden, ob er sich impfen lassen will oder nicht», sagt Binja Betschart, Inhaberin einer Praxis für medizinische Massagen und Therapien in Nesslau SG. «Ich behandle jeden, ob er geimpft ist oder nicht.» … Genauso wie Susanne Brandenberger, Inhaberin von Brandenberger Reisen. «Wir nehmen auf unseren Carreisen jeden mit, wie er ist», sagt sie. «Mit Maske oder ohne Maske. Mit Impfung oder ohne Impfung. Wir leben die Menschheitsfamilie und die Menschenrechte.» Bran­denberger setzt auf Eigenverantwortung: «Man geht nur dann unter die Leute, wenn man gesund ist.»

So konnte man gestern in der Limmattaler Zeitung lesen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass hinter der Aussage zur Eigenverantwortung ein Denkfehler steckt.

Denkfehler führt zu falschen Schlussfolgerungen

Eine eigentlich weit bekannte Eigenart von SARS-CoV-2 ist es nämlich, dass eine vom Virus befallene Person tagelang andere Menschen anstecken kann, bevor die infizierte Person aufgrund von Symptomen ihre Infektion bemerkt.

Darin unterscheidet sich SARS-CoV-2 von vielen anderen Viren.

Es ist deshalb unmöglich, mit Sicherheit die Ansteckung Anderer zu verhindern, wenn man “nur dann unter die Leute” geht, “wenn man gesund ist”. Unter dem Aspekt der Pandemiebekämpfung ist es also falsch, darauf zu vertrauen, dass man sich gesund fühlt. Genauso falsch ist es zu meinen, eine Person, die sich gesund fühlt, könne nicht infektiös sein.

Leider ist dieser Denkfehler jedoch Ausgangspunkt einer Reihe von logischen Schlussfolgerungen, die darin münden zu glauben, Eigenverantwortung in dem Sinne, dass man zuhause bleibt, wenn man sich krank fühlt, reiche aus, um Andere zu schützen.

Daraus resultiert auch die nachweislich falsche Sichtweise, der Staat schränke die eigene Freiheit des Individuums unnötig ein, wenn er Regeln beschliesst, die verhindern sollen, dass Menschen, die sich gesund fühlen, andere Menschen anstecken können.

Wer den Denkfehler erkennt, wird nicht drum herumkommen zuzugeben, dass eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung zwingend darauf aufbauen muss, dass jeder Mensch infektiös sein könnte, auch wenn er es nicht bemerkt.

Es stellt sich deshalb die Frage, was überhaupt Eigenverantwortung bedeutet beziehungsweise welche Definition von Eigenverantwortung der Gesellschaft und dem Individuum den grössten Nutzen bringt.

Maximale Freiheitsgrade

Eigenverantwortung soll staatliche Vorgaben ersetzen. Der Begriff bedeutet, dass jeder Mensch für sich frei entscheiden kann, was für ihn oder die Gesellschaft am besten ist.

Doch welche Definition ist aus Sicht einer funktionierenden und freien Gesellschaft tatsächlich die beste, wenn – wie oben dargestellt – das Individuum gar nicht über die notwendigen Informationen verfügt, um diese Entscheidung optimal treffen zu können?

«Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt». Immanuel Kant (1724-1804)

Wer danach lebt, müsste Eigenverantwortung so verstehen, dass man seine eigene Freiheit freiwillig dann einschränkt, wenn die Freiheit (oder Leben oder Gesundheit oder Vermögen) einer oder eines Anderen geschädigt werden könnte.

Tatsächlich würde diese Definition von Eigenverantwortung zu einem Maximum an Freiheit für die Gemeinschaft führen.

Denn ein Volk erhält dann seine grösste Freiheit wenn jedes Individuum seine Freiheit freiwillig einschränkt, um dadurch die Freiheit Anderer zu schützen.

Wird Eigenverantwortung hingegen so definiert, dass jede/r tun und lassen kann, was er oder sie will, nimmt die Freiheit – oder Gesundheit oder Vermögen – Anderer immer wieder Schaden. Die Gemeinschaft wird dann zur Schadensbehebung oder -begrenzung gezwungen.

Jeder Zwang wiederum stellt einen Verlust von Freiheit dar.

Eine Gesellschaft, in der Eigenverantwortung nicht so definiert wird, dass man die eigene Freiheit freiwillig zum Schutze Anderer einschränkt, ist deshalb weniger frei als eine Gesellschaft, in der Eigenverantwortung so definiert wird, dass man sich freiwillig einschränkt, um die Freiheit Anderer zu schützen.

Das folgende Gedankenspiel zeigt den Mechanismus auf.

Nach der Befreiung einer zuvor unfreien Gesellschaft kann der Freiheitsgrad der Gesellschaft deshalb zunächst zunehmen, um dann wieder zu sinken, wenn die Anarchie der rücksichtslosen Freiheit des Individuums Anderen immer mehr Schaden zufügt.

Zeigen die Individuen sich uneinsichtig oder unfähig, ihre Freiheit eigenverantwortlich und freiwillig einzuschränken, bleibt einer solchen Gesellschaft nichts anderes übrig, als Regeln zu erlassen, die die Freiheit des Individuums zugunsten einer in dieser Situation maximal möglichen Freiheit der Gesellschaft einschränken.

In der Folge stellt sich ein neues Optimum ein, das wegen der egozentrischen Haltung Einzelner die Gesamtheit der Individuen in ihren Freiheitsrechten einschränken muss, denn jeder zusätzliche individuelle Freiheitsgrad würde die Freiheit des Kollektivs reduzieren.

Dennoch kann eine Gesellschaft, die ihre Freiheit mit Regeln – Gesetzen oder Verordnungen – schützt, unter dem Strich freier sein, als eine Gesellschaft, in der niemand Rücksicht auf die Anderen nimmt.

Massnahmenbekämpfung und Referendum sind Freiheitsvergiftung

Der oben erwähnte Denkfehler führt zur Meinung, man könne das Virus nur weitergeben, wenn man sich schon krank fühlt. Wir wissen nun zur Genüge, dass genau dies nicht stimmt. Ohne es zu merken, kann man Dutzende Menschen anstecken, von denen jeder wiederum Dutzende anstecken kann usw. Die Freiheit der Gesellschaft kann so mit exponentieller Geschwindigkeit abgebaut werden.

Eigenverantwortlich zum Schutze der Freiheit (und Unversehrtheit) Anderer kann deshalb bei einem so heimtückischen Virus nur bedeuten, dass man freiwillig alles tut, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion und Übertragung maximal zu reduzieren.

Die Mittel dafür sind bekannt: die Anzahl Kontakte klein halten; Abstand; ohne Impfung oder aktuell negativen Test den Aufenthalt in Innenräumen vermeiden und in Innenräumen Masken tragen.

Würde diese Art von Eigenverantwortung funktionieren, müssten wir nicht über Regeln und Vorschriften zur Pandemiebekämpfung, wie zum Beispiel das Covid-Gesetz diskutieren. Es gäbe auch kein Referendum gegen dieses Gesetz.

Zu viel Freiheit schränkt die Freiheit ein

Doch leider ist es anders. Ausgerechnet diejenigen, welche am lautesten schreien, es brauche keine staatlichen Massnahmen, die Eigenverantwortung reiche aus, sind gleichzeitig diejenigen, welche sich mehrheitlich so verhalten, dass sie sich und in Folge davon auch Andere einem Infektionsrisiko aussetzen und damit die Gesellschaft gesamtheitlich in ihrer Freiheit bedrohen.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die egozentrische Forderung nach maximaler individueller Freiheit und das resultierende rücksichtslose Verhalten während einer Pandemie besonders deutlich vor Augen führt, wie das Maximum an individueller Freiheit ein Maximum an gesamtgesellschaftlicher Freiheit bedroht oder verhindert und dadurch die Gesellschaft zwingt, die Freiheit des Individuums zugunsten der Freiheit der Gesellschaft einzuschränken.

Gleiches gilt übrigens nicht nur für die Pandemiebekämpfung, sondern auch beim Klimawandel, der die Freiheit zukünftiger Generationen massiv bedroht, beim Schutz der natürlichen Ressourcen und in vielen anderen Bereichen.

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