Anlässlich der Analysen zur erfolgreichen Massenmobilisierungskampagne gegen die Durchsetzungsinitiative und des am Freitag anstehenden Campaigning Summit Switzerland wurde ich vom Tages-Anzeiger eingeladen, einen Gastkommentar zu schreiben.
Einfach war das nicht nach den beiden ausgezeichneten Analysen von Daniel Graf und Mark Balsiger in Interviewform. Ich musste scharf nachdenken, was ich überhaupt noch zusätzlich zu erzählen hätte. Nach einer Weile und nach einer Diskussion im Team-Meeting – bei uns meist virtuell mit Skype, FaceTime oder ähnlichem – kristallisierte sich dann ein Thema heraus, durch das wir uns immer wieder auszeichnen, ein Thema, das ein Differenzierungsmerkmal meiner Firma ist: die Vorausschau. (Nicht umsonst hiess meine Firma mal 4C – business campaigning GmbH, wobei das 4C als «foresee» auszusprechen war.)
Heute gab es auf Twitter dann noch eine Diskussion mit Benedikt Hofer (@benedho), nachdem ich dort auf den Kommentar hingewiesen hatte. Er stellte die Frage, ob es nicht eine Regulierung bräuchte, wenn Kampagnen durch IT-Proessionals gesteuert werden. Ich denke nicht, nicht nur, weil ich als freiheitsliebender Mensch schon immer grundsätzlich gegen Regulierungen war. Vielmehr wird das Automatisieren von Kampagnen(-Reaktionen) so einfach werden, dass die Campaigner selbst die Mechanismen programmieren. Wenn man Campaigner heute nicht regulieren muss, dann auch nicht in Zukunft. Die Diskussion kann hier nachgelesen werden.
Und hier nun mein Gastkommentar. Übrigens, die günstigen regulären Tickets für den Campaigning Summit Switzerland gibt es nur noch bis Sonntag um Mitternacht.
Automatisierte Demokratie?
Neuartige Kampagnen bedrohen etablierte Verbände.
Von Peter Metzinger
Tages-Anzeiger; 05.03.2016, Seite 12
Analyse & Debatte, Gastbeitrag
War die Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative (DSI) vor allem ein Grassroots- und Social-Media-Phänomen? Ich denke, Nein. Die Strategie war nicht einmal neu. Mitmachkampagnen von unten hat es schon im vergangenen Jahrtausend gegeben. Das einzig Neue ist die Technologie. Dank ihr kann heute praktisch jeder schneller, günstiger und distanzunabhängig mehr Menschen erreichen, als man sich noch vor kurzem hierzulande vorstellen konnte.
Musste das Nidwaldner Komitee gegen das Endlager im Wellenberg 1995 noch einen erheblichen Aufwand betreiben, um für ein Plakat 150 Fotos von Nidwaldnern zu sammeln, so wäre dies heute ein Leichtes und innerhalb weniger Minuten zu machen. Musste man früher mühsam auf der Strasse Spenden sammeln, wird heute mal schnell ein Crowdfunding-Projekt gestartet.
Die Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative ist vor allem ein technologisches Phänomen – nur ein weiteres von vielen Beben infolge der digitalen Disruption. Nach dem Kommerz erschüttert diese nun auch die Non-Profit-Welt.
Wenn man völlig spontan Tausende von Menschen in kürzester Zeit mobilisieren kann, wenn man mittels Crowdfunding im Nu das notwendige Budget für eine schlagkräftige Kampagne zusammenbekommt, wozu braucht es dann noch klassische Organisationen wie Parteien, Verbände, Glückskette und grosse NGOs, die sich oft mehr mit sich selbst beschäftigen als mit ihrer eigentlichen Mission?
Von Maschinen geschrieben
Streng genommen, brauchen wir sie in der heutigen Form gar nicht mehr. Und in Zukunft wird es noch leichter, aus dem Nichts heraus eine Kampagne zu lancieren – sei es, um Spenden zu sammeln, sei es, um politische Interessen durchzusetzen oder um eine neue Dienstleistung oder eine neue Idee zu verbreiten.
Denn es kommt nun ein weiteres Phänomen hinzu: die Automatisierung. In den USA werden schon Nachrichtentexte von Maschinen geschrieben. Programme wie IFFT oder Zapier ermöglichen es, kinderleicht Reaktionen und Routineaufgaben zu automatisieren. Software erfasst das Lese- und Reaktionsverhalten von Newsmail-Empfängern, ergänzt Datenbanken ständig um diese Informationen, identifiziert besonders aktive Aktivisten und schreibt sie dann sehr persönlich an.
Die Strukturen, die es für ein erfolgreiches Campaigning braucht, werden noch schlanker, Verbände und NGOs werden ihre Existenzberechtigung vermehrt unter Beweis stellen müssen.
Technik alleine reicht jedoch – für manche zum Glück – noch nicht. Es gibt sie schon lange. 2003 organisierte mein Kollege Joe Trippi die erste US-Präsidentschaftskampagne mit sozialen Medien – vier Jahre vor Obama. Change.org, eine weltweit agierende Plattform für Onlineaktivismus mit 25 Millionen Nutzern, gibt es seit 2007.
Die aktive Zielgruppe
Es braucht zusätzlich das Bewusstsein für die technologischen Möglichkeiten. Die DSI-Kampagne hat dieses erweitert. Hinzu kommt ein neues Selbstverständnis der sogenannten Zielgruppen. Im Campaigning wurden sie schon immer als Helfer gesehen und nicht als passive Informationsempfänger. Nun können Zielgruppen dank Technologie Kampagnen mitgestalten. Und sie sind sich dessen bewusst. Wenn die Zielgruppe Teil des Kampagnenteams wird, müssen Werbung und PR sich neu erfinden. Wenn Wähler dezentral mobilisiert werden oder sich selbst organisieren und mit ihren Volksvertretern «Face to Face» auf der Strasse sprechen, braucht es weniger Lobbyisten in der Wandelhalle.
In der Geschichte des Campaignings hat die Schweiz nun den Stand der USA von 2003 erreicht. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht und wie schnell wir aufholen.