Barnaby Skinner von der SonntagsZeitung hat am Montag Campaigning Summit Switzerland Referentin Paula Peters (geborene Hannemann) interviewt. Ich freue mich sehr, dass dieses Interview zustande kam und dass Paula am Freitag zu uns sprechen wird. Sie kommt extra für den Campaigning Summit Switzerland nach Zürich. Wer sie live erleben will, sollte am besten heute noch anmelden, denn die günstigen regulären Tickets gibt es nur noch heute und es sind auch nicht mehr viele Tickets übrig.
© SonntagsZeitung; 06.03.2016, Seite 56, Digital
«Es stimmt, dass wir eine massive Spaltung erleben»
Barnaby Skinner (Text) und Stephan Schmitz (Illustration)
Paula Peters, Chefin der Online-Gemeinschaft Change.org, über Wutbürger, die Reparatur des Internets und Obamas Nutzung der Plattform
Mit 140 000 Millionen Nutzern und 300 Mitarbeitern ist Change. org die grösste Petitionsplattform der Welt. Deren Chefin Paula Peters sitzt in Hanoi, Vietnam. Wir redeten via Skype. Die Videofunktion schaltete die 33-Jährige für das Interview aus. Sie könne sich so besser konzentrieren.
Wie funktioniert Change.org?
Die Site hilft Bürgerinnen und Bürgern dabei, Themen eine Öffentlichkeit zu geben. Dabei kann es um einen Zebrastreifen gehen, der vor der Haustür sein soll, bis hin zu einer Gesetzesänderung. Staaten erlauben Bürgern oft, nur alle paar Jahre mitzureden – bei Wahlen. Wir finden, das muss sich ändern.
Haben Sie die Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative in der Schweiz vom letzten Wochenende verfolgt?
Klar. Aber die Schweiz ist da weltweit wirklich eine Ausnahme.
Beschreiben Sie, wie man Ihre Plattform nutzt.
Es gibt einen Auslöser, etwas, was einen geärgert hat. Statt nur in die Kneipe zu gehen und darüber zu reden, kann man mit Change.org aktiv werden. Es gibt viele solcher Plattformen. Change.org ist weltweit die grösste. Nutzer formulieren ihre Forderung. Wir sorgen dafür, dass sie die richtigen Adressaten finden: eine Regierung, einen Konzern. Via Facebook, Twitter und auf unserer Plattform verbreitet sich die Petition. Gleichzeitig unterstützt unsere Technologie die Nutzer darin, wie sie eine Kampagne aufzuziehen haben. Jeder gute Politiker weiss, wovon ich rede.
Jeder wird also zum Kampagnenführer?
Genau. Wie rede ich mich Journalisten? Wie organisiere ich eine Demo? Die meisten Menschen sind keine Aktivisten. Ich finde sogar, Beteiligung an öffentlichen Debatten, die über Wahlen hinausgeht, müsste ein Schulfach sein.
Wann ist eine Petition zu Ende?
Die Adressaten, die Entscheidungsträger, werden nach dem Start einer Petition informiert. Meist reagieren sie nicht. Wenn dann aber immer mehr Leute unterschreiben, ist ihr Interesse geweckt. Manchmal reichen auch 500 Leute.
Und wie verdienen Sie Ihr Geld?
Wir sind ein soziales Unternehmen. Wir ermöglichen es Nichtregierungsorganisationen wie Médecins sans Frontières, gegen Geld ihre Petitionen zu bewerben. Auf unserer Plattform finden sie Leute, die sie als Aktivisten oder Förderer suchen.
Geben Sie uns ein Beispiel einer erfolgreichen Petition.
Die Kampagnen von Malala Yousafzai, der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin. Sie koordiniert auf Change.org Hunderttausende Menschen mit einem Ziel: mehr Bildungschancen für Mädchen. Sie hat es geschafft, dass die Weltbank die Mindestansprüche für Bildung anhebt.
Es gibt auch Fragwürdiges. Eine kanadische Nutzerin kämpft dafür, dass die Schweiz gegen Bauern vorgeht, die Hunde und Katzen ässen.
Es darf jeder seine Petition starten.
Diese uninformierte Petition hat über 2200 Unterschriften.
Ich finde das wunderbar. Wenn nur ein Mensch, der unterschrieben hat, dabei das Campaigning für sich entdeckt, ist viel gewonnen. Ob nun jemand von Katzen-Content in relevantere Bereiche des Aktivismus findet oder von sonst woher, ist egal.
Nutzen auch Politiker Change. org für einen Wahlkampf?
Gerade hat der Vizekanzler von Deutschland, Sigmar Gabriel, in einer Petition mit einem Video zum TTIP-Freihandelsabkommen reagiert. Das Abkommen führt in Deutschland zu grossen Diskussionen. Gabriel hat so 150 000 sehr engagierte Leute erreicht. Auch Barack Obama reagiert auf Petitionen auf Change.org.
Auf welche?
Zum Beispiel ist die US-Regierung gegen Einzelhaft von jugendlichen Straftätern – aufgrund einer Petition von 68 000 Menschen. Ende 2014 hat die Obama-Regierung ein Gesetz zur Stärkung der Behindertenrechte verabschiedet, das dank eine Petition und über 250 000 Unterstützer angestossen wurde.
Trotzdem bekommt man den Eindruck, das Internet und Social-Media-Plattformen würden zunehmend von Wutbürgern und radikal-religiösen Gruppierungen erobert. Macht Sie das traurig?
Nein. Ich teile Ihre Beobachtung auch nicht. Es ist so, dass das Internet von allen Menschen genutzt wird. Auf beiden Seiten des Spektrums, links oder rechts, gibt es solche, die Hass loswerden wollen. Aber die meisten verorten sich doch in der Mitte der Gesellschaft. Im Grossen und Ganzen erlebe ich Onlinekommunikation und Onlineaustausch als positiv.
Wie gehen Sie bei Change.org mit Wutbürgern um?
Diskriminierung jeglicher Art ist nicht erlaubt. Die Community funktioniert da gut. Anstössige Inhalte werden unserem Support-Team gemeldet, das rund um die Uhr Beiträge kontrolliert.
Wie viele Meldungen bekommen Sie?
Das variiert stark. 99 Prozent der Petitionen werden akzeptiert.
Der ägyptische Aktivist Wael Ghonim, der im Arabischen Frühling eine zentrale Rolle spielte, sagt, wir müssten das Internet reparieren.
Ich denke, seine Kritik hatte weniger mit den Technologien zu tun als mit den Menschen, die diese Technologien nutzen. Es stimmt, dass wir in vielen Gesellschaften eine massive Spaltung erleben: den Rechtsrutsch in europäischen Staaten etwa oder die Auseinandersetzungen in den US-Vorwahlen mit Donald Trump und Bernie Sanders. Es gibt ein starkes Gefühl von Polarisierung. Das bildet sich im Internet ab, denn das Internet ist das Medium unserer Zeit.
Muss dieses Medium repariert werden?
Auf manche komplexe Fragen gibt es keine Antworten. Das ist so eine. Die Hyperverknüpfung des Internets macht zwei Dinge. Sie treibt uns in die Transparenz. Wenn heute ein 12-jähriger Schwarzer in den USA erschossen wird, gibt es ein Handyvideo davon. Die Gesellschaft kann nicht wegsehen. Zweitens: Sie erlaubt es Menschen, sich so einfach zu vernetzen wie nie zuvor und eine Bewegung zu starten.
Paula Peters referiert am 11. März am Campaigning Summit, www.campaigningsummitswitzerland.com
Peters: «Die Schweiz ist eine Ausnahme»
Share this:
- Klick, um auf Tumblr zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet)
- Klick, um auf LinkedIn zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet)
- Klicken, um einem Freund einen Link per E-Mail zu senden (Wird in neuem Fenster geöffnet)
- Klick, um auf Facebook zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet)
- Klick, um über Twitter zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet)