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Zeitgeistigen Unsinn wieder als das bezeichnen, was er ist

Kürzlich erschien ein hervorragender Artikel in der NZZ («Gute Politik provoziert»). Obwohl ich immer sage, dass es beim Strategischen Campaigning Grundsatz Nr. 1 (Polarisieren, profilieren, positionieren) gerade nicht um provozieren geht, umschreibt er trotzdem, was dieser bedeutet. Es geht darum, überdeutlich mitzuteilen, wofür man steht und vor allem auch, wofür man nicht steht. Dies erleichtert es den Adressierten, zu entscheiden, ob sie sich anschliessen wollen oder nicht.

Gerade den Parteien in der politischen Mitte kann nur dazu geraten werden, sich daran zu orientieren. Denn sie haben es am schwersten.

Während links und rechtes gelogen wird, dass sich die Balken biegen, ist eine Politik der Mitte eher an Fakten orientiert. Die Verteidigung der Freiheit hatte die Jahrhunderte hindurch immer auch mit einer Verteidigung der Wahrheit oder einem Kampf für die Wahrheit zu tun.

So ist es auch kein Zufall, dass mein politisches Profil laut Vimentis perfekt in der Mitte liegt. Und wer mich kennt wird sich nicht wundern, dass ich auf der Achse konservativ-innovativ weit oben positioniert bin.

Im folgenden ein paar Auszüge aus dem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung vom 02. September 2023, versehen mit Kommentaren von mir. Besonders bedenklich ist einer der Gründe, weshalb so wenig polarisiert wird: Angst! Wie weit sind wir gekommen, dass wir uns aus Angst vor Attacken die Freiheit nehmen lassen, zu sagen, was wir denken?

Aus Furcht vor Anwürfen der Gender-, Klima- und Wokeness-Lobby und der SVP vermeidet die bürgerliche Mitte vor den Wahlen klare Aussagen. Das ist fatal. Von Christina Neuhaus

Zweimal in diesem Wahlkampf hat die FDP Mut gezeigt: Das erste Mal legte sie sich mit grünen Aktivisten an. Zum Auftakt des Wahlkampfs publizierte sie ein Bild von Klimaklebern, die ein Ambulanzfahrzeug behindern. Darunter stand: «Anpacken statt ankleben». Das Resultat war ein allgemeiner Aufschrei. Weil das Bild mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt worden war, erschallte prompt die Forderung nach einer politischen Lauterkeitspolizei. Schliesslich sei in der Schweiz noch nie eine Ambulanz wegen eines Klimaprotests steckengeblieben. Und überhaupt: Man ist doch nicht so gemein mit idealistischen jungen Leuten.

Wenig später fassten sich die freisinnigen Parteistrategen ein zweites Mal ein Herz. Die Partei veröffentlichte ein Papier zur Asylsituation und zur Zuwanderung. Motto: «hart, aber fair». Und wieder war die Empörung gross. Die «Aargauer Zeitung» fragte bang: «Überholt die FDP jetzt Glarners SVP?» Radio SRF liess einen bekannten Politgeografen sagen, was man selber dachte: «Die SVP freut’s.»

Die ungnädigen Reaktionen verfehlten ihre Wirkung nicht. Aus Angst vor dem eigenen Mut zog sich die FDP wieder in ihr Floskel-Reduit zurück. Sie will nun wieder die Wirtschaft stärken und den Wohlstand ausbauen, die Schweiz stark machen und Verantwortung übernehmen.

Meiner Meinung nach handelt es sich bei einer Strategie des Rückzugs auf die traditionellen Themen, bei denen man sich sicher fühlt, um eine Reduit-Strategie des negativen Wachstums (nett ausgedrückt). Nicht umsonst heisst es beim Militär «Angriff ist die beste Verteidigung»….

Die FDP ist nicht die einzige Partei, die mit Null-Botschaften in den Wahlkampf zieht. Seit das SRG-Wahlbarometer ergeben hat, dass 44 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer aufgebauschte emotionale Debatten für ein Ärgernis halten, ist der Fachausdruck Polarisierung zum Schmähwort geworden.

Gerhard Pfister, der gewiefte Präsident der zwischen den Polen ruhenden Mitte-Partei, war der Erste, der aus dem Unmut über zu laute Politik Kapital schlug. Seine Partei verzichtet im Wahlkampf weitgehend auf politische Forderungen und wirbt stattdessen damit, dass man sich «gegen die Polarisierung stemme». Pfister ist überzeugt, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer weniger über konkrete kontroverse Themen wie Wokeness-, Gender- oder Klimakleber-Aktionen ärgern als vielmehr über den Stil der Auseinandersetzung.

Nicht schlecht. «Polarisieren versus nicht polarisieren», das ist auch eine Polarisierung. Man kann über Gerhard Pfister denken, was man will, nur eines darf man nicht: seine strategischen Fähigkeiten unterschätzen.

(…)

Angst führt zu intellektueller Selbstverzwergung

Die Folge ist in vielen Fällen Selbstzensur. Es beginnt damit, dass Politiker, Wissenschafterinnen oder Künstler gewisse Themen meiden. Diese Neigung zur Stromlinie zeigt sich nicht nur im weltweiten Netz, sondern zunehmend auch im realen Leben. Da ist der Autor, der ein Brecht-Zitat aus einem noch unveröffentlichten Essay entfernt, weil sowohl Brecht als auch sein Werk nicht frei von Sexismus sind. Dort ist die Wissenschafterin, die eine kontroverse Studie lieber nicht kommentiert, weil sie weiss, dass sie von ihrer «progressiven» Universitäts-Bubble in die rechte Ecke gestellt wird.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese intellektuelle Selbstverzwergung auch die Politik erfasste. Weil nur linke und rechte Polparteien von Gender- und Wokeness-Disputen profitieren, meiden die anderen Parteien das Schlachtfeld des modernen Kulturkampfs. Und nicht nur das: Die Furcht vor den drei grossen P, Polarisierung, Polemik und Provokation, ist offenbar so gross, dass die Parteien gleich jedem potenziell kontroversen Thema aus dem Weg gehen. Bei der FDP ist die Angst, liberale Kante zu zeigen, so ausgeprägt, dass die sicherheitspolitischen Kerndossiers von Parteipräsident Thierry Burkart in der Dachkampagne gar nicht erst erwähnt werden.

Ich mache jetzt mal den Anfang: die Grenzüberschreitungen der Woke-Besessenen sind genauso schlimm, wie das, gegen das sie sich angeblich richten. Hier wird einfach eine Form der Intoleranz und Unterdrückung durch eine andere ersetzt. Kein Wunder, dass sich echte Feministinnen dagegen genauso wehren wir echte Klimaschützer die Klimakleber kritisieren. Tiefgang statt Oberflächlichkeit, Fakten statt Ideologie – nur so können wir die grossen Herausforderungen unserer Zeit meistern.

Diese Hasenherzigkeit ist nicht unbemerkt geblieben. Der SRF-Journalist Reto Lipp warb kürzlich für die Sendung «Eco Talk» mit der Aussage: «Die Politik verschläft die wichtigsten Wirtschaftsthemen. Wir nicht. Bei uns geht es um sinkende Reallöhne, Wirtschaftsabschwung, Zuwanderung, steigende Mieten und Europa.»

Der Mann hat recht. Das sind die Themen, auf die die Bürgerinnen und Bürger Antworten erwarten. Denn die Menschen in diesem Land sind nicht politikmüde. Sie haben es nur satt, dass heute mehr über die genderneutrale Beschriftung der Toilettenanlagen in der Fachhochschule für Befindlichkeiten gestritten wird als über Europa- oder Wirtschaftsthemen. Genau hier müssten die nicht polarisierten Parteien der bürgerlichen Mitte einsetzen. Von ihnen wird erwartet, dass sie zwischen der Die-Rechnung-dem-Staat-Politik der Linken und dem Die-Ausländer-sind-schuld-Mantra der SVP Mehrheiten bilden.

Tja, und da wären ja auch noch weitere Themen: Klimaerhitzung, Biodiversitätskrise, Angriffe auf unsere Freiheit durch Leute, die diese Krisen zum Durchsetzen ihres merkwürdigen Gedankenguts missbrauchen, unsichere Energieversorgung, Wohnungsnot, explodierende Gesundheitskosten, regelrechte Völkerwanderungen, sinkende Renten…

Diese noch nicht einmal vollständige Liste von krisenbehafteten Themen steht beispielhaft für ein beispielloses Versagen unserer politischen Institutionen. Wir stehen vor gewaltigen Problemen, die mit konventionellen Methoden offensichtlich nicht mehr zu lösen sind. Es braucht in der Politik jetzt völlig neue Ansätze.

Politischer Anstand ist wichtig, doch ohne kluge Provokationen und politische Angriffslust liessen sich noch nie Wahlen gewinnen. «Kein grosses Denken ohne grosse Beleidigung», schrieb Maxim Biller einmal. In seiner legendären Vor-Jahrtausendwende-Kolumnenserie «100 Zeilen Hass» begab sich der streitbare Autor Monat für Monat «auf die Suche nach Wahrheit und Ehrlichkeit» und sah dabei oft klarer als die neonfarbenen Kultur-Materialisten des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Biller weiss: Es sind die intellektuellen Polemiken, die eine Gesellschaft weiterbringen (…)

Dass alle Bundesratsparteien gemeinsam eine Vorlage unterstützen, wie das noch in den 1970er Jahren üblich war, kommt heute nur noch in Ausnahmefällen vor. Die Zeit der grossen Kompromisse ist vorbei. Sogar im Ständerat fallen Abstimmungen immer knapper aus. Dieses Signal der parteipolitischen Blockade ist fatal. Denn die Schweizerinnen und Schweizer zweifeln nicht an der direkten Demokratie. Sie zweifeln an der Lösungsfähigkeit der Parteien und ziehen sich deshalb zunehmend aus der Politik zurück. Die Gewinner sind die Polparteien: Je weniger Wähler an die Urne gehen, desto stärker nützt der Mobilisierungseffekt den lauten Parteien. Will die bürgerliche Mitte am 22. Oktober nicht weiter verlieren, muss sie konkrete Lösungsansätze präsentieren, die Linke wie die Rechte herausfordern. Frei nach Biller: Keine gute Politik ohne Provokation.

Es ist Zeit, «Zeitgeistigen Unsinn (wieder) als das (zu) bezeichnen, was er ist»

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