Kürzlich durfte ich als Dozent an der HSG-Zertifikats- und Diplomfeier (Weiterbildung für Politik) eine Rede halten. Dazu wählte ich den bewusst doppeldeutigen Titel „Klimawandel in der Politik – Fakten statt Mythen“. Denn es gibt sowohl in der Politik Falschinformationen sowohl über den Klimawandel und seine Lösungen, als auch einen Klimawandel in der Politik, hin zu Wahrheitsverleugnung und gezielter Desinformation. Passend dazu nahm ich die Titelseite des Handbuchs der 33 Desinformationstechniken mit, das ich Ende April zusammen mit Rui Biagini auf der Plattform ReclaimTheFacts veröffentlicht habe. Mehr das hier.
Viele Teilnehmende baten mich um eine Kopie meiner Rede, also veröffentliche sie hier lesbar für alle.
Geschätzte Damen und Herren,
wir alle wissen: Der Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Er bedroht Ökosysteme, Küsten- und andere Städte, die Planbarkeit unserer Landwirtschaft und damit unsere entscheidende Lebensgrundlage. Warum hat sich Landwirtschaft erst vor 10’000 Jahren etabliert, obwohl die Menschheit auch vorher schon genauso schlau war, wie heute? – Weil das Klima zum ersten Mal stabil war, wie noch nie und die letzten 10’000 Jahre auch so geblieben ist. Das ist einzigartig und das ist es, was die globale Erwärmung wirklich bedroht.
Und doch erleben wir, dass der vielleicht gefährlichste Wandel nicht nur in unserer Umwelt geschieht, sondern auch in unserer politischen Kultur.
Eine Kultur, in der nicht mehr das bessere Argument zählt, sondern die lautere Stimme. Eine Kultur, in der Meinungen wichtiger sind als Fakten. Eine Kultur, in der Desinformation und gezielte Narrative den Diskurs dominieren – nicht aus Unwissenheit, sondern aus Kalkül.
Gerade in der Klimadebatte erleben wir das tagtäglich. Während die eine Seite den Klimawandel leugnet, treibt die andere Seite ein dogmatisches Narrativ voran, das keine Alternativen duldet. Desinformation und irreführende Behauptungen statt wissenschaftlicher Fakten gibt es nämlich nicht nur auf der rechten Seite, sondern auch auf der Linken, und beide Seiten stacheln sich mit ihrem Verhalten gegenseitig dazu an. Die Wahrheit aber liegt, wie so oft, nicht in den Extremen, sondern in der differenzierten Betrachtung.
Und genau hier beginnt das Problem: Technologische Lösungen werden nicht mehr nach ihrem Potenzial bewertet, sondern nach ihrer politischen Verwertbarkeit.
eFuels – eine Lösung unter vielen, aber keine, die ignoriert werden darf
Ein Paradebeispiel dafür sind synthetische Kraftstoffe, sogenannte eFuels. Lassen Sie mich kurz erklären, worum es geht:
eFuels sind flüssige Treibstoffe, die mit erneuerbarer Energie hergestellt werden. Sie bestehen aus Wasserstoff – gewonnen aus Wind- oder Sonnenstrom – und CO₂, das aus der Luft oder Industrieprozessen entnommen wird. In ihrer Anwendung verhalten sie sich wie herkömmliche Treibstoffe, doch ihre Klimabilanz ist neutral.
Warum ist das wichtig? Weil wir es hier mit einer Lösung zu tun haben, die fossile Kraftstoffe ersetzen, ohne dass bestehende Infrastrukturen komplett umgebaut werden müssen. Ein Flugzeug kann nicht einfach mit einer Batterie fliegen. Ein Containerschiff kann nicht mit Oberleitungen betrieben werden. Und weltweit existieren über eine Milliarde Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor – die nicht über Nacht verschwinden werden.
Dennoch erleben wir, dass eFuels nicht als Teil der Lösung akzeptiert, sondern als Problem dargestellt werden. Warum? Weil sie nicht ins politische Narrativ passen.
Wenn Ideologie wichtiger wird als Wissenschaft
Wir alle kennen die Desinformation von Seiten der Klimaskeptiker. Aber auch auf der anderen Seite wird nicht immer mit offenen Karten gespielt. Die Behauptung, eFuels seien nur ein „Trick der fossilen Industrie“, wird oft wiederholt – ungeachtet der Tatsache, dass Unternehmen weltweit Milliarden in ihre Entwicklung investieren, dass Fluggesellschaften sie dringend brauchen, dass Experten
aus Wissenschaft und Industrie sie als unverzichtbar betrachten.
Und so erleben wir, wie ein falsches Narrativ sich festsetzt: Die Zukunft sei ausschliesslich elektrisch, alles andere sei eine Täuschung.
Ist Elektrifizierung wichtig? Ja!
Ist sie die einzige Lösung? Nein!
Und doch wird jede Abweichung von diesem Dogma als „Klimaschädigung“ oder gar als Verrat am Klimaschutz gebrandmarkt. Das ist nicht Wissenschaft.
Das ist nicht Fortschritt. Das ist eine Sackgasse.
Wie soziale Medien die Polarisierung verstärken
Früher war Desinformation eine Waffe weniger mächtiger Akteure. Heute ist sie ein Werkzeug, das jeder in der Hand hält – verstärkt durch Algorithmen, die nicht auf Wahrheit optimiert sind, sondern auf Reichweite. Fake News verbreiten sich schneller als Fakten. Polarisierende Botschaften bekommen mehr Aufmerksamkeit als differenzierte Argumente.
Wer auf einen simplen Feind zeigt, wird gehört – wer eine komplexe Lösung vorschlägt, geht unter.
Das Ergebnis? Ein Diskurs, der nicht nach Wahrheit sucht, sondern nach Bestätigung. Eine Gesellschaft, die nicht mehr miteinander spricht, sondern nur noch übereinander.
Die Gefahr für unsere Demokratie
Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Wenn politische Entscheidungen nicht mehr von Fakten, sondern von Stimmungen bestimmt werden – wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nur dann akzeptiert werden, wenn sie ins eigene Weltbild passen – dann stehen wir vor einer Krise, die weit über den Klimaschutz hinausgeht.
Eine Demokratie kann nur dann wirklich gut funktionieren, wenn sie auf Wissen basiert.
Wenn aber Wissen durch Ideologie ersetzt wird, dann verliert eine Gesellschaft die Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen. Dann wird nicht mehr abgewogen, sondern diktiert. Dann geht nicht nur die Offenheit für neue Lösungen verloren – dann geht die Demokratie selbst verloren.
Was wir tun müssen
Wie können wir diesen Entwicklungen begegnen?
Wir brauchen mehr Informationskompetenz. Wir müssen lernen, Informationen kritisch zu hinterfragen. Woher stammt eine Behauptung? Wer profitiert davon? Ist eine Studie wirklich neutral oder nur ein politisches Werkzeug? Das sollten wir nicht nur in Schulen lehren, sondern in unserer gesamten Gesellschaft fördern.
Wir brauchen mehr Transparenz in der Wissenschaft. Studien müssen nicht nur verständlich erklärt werden – wir müssen auch über die zugrundeliegenden Annahmen sprechen.
Wissenschaft ist keine Einbahnstrasse. Sie entwickelt sich weiter. Sie lebt vom Austausch, nicht vom Ausschluss unbequemer Erkenntnisse.
Wir brauchen eine verantwortungsvollere Gestaltung unserer digitalen Räume. Algorithmen, die nur auf Polarisierung setzen, dürfen nicht zur Norm werden. Es geht nicht um Zensur, sondern um die Frage, wie wir Fakten und Meinungen so darstellen, dass der gesellschaftliche Diskurs nicht durch Manipulation verzerrt wird.
Meine Damen und Herren,
Klimaschutz ist eine gemeinsame und dringende Aufgabe. Doch diese kann nur gelingen, wenn wir auch dem Klimawandel in der Politik, der gerade stattfindet, entschieden entgegentreten. Und damit wäre nicht nur dem Klima geholfen.
Vielen Dank.
Teilen mit:
- Klick, um auf Tumblr zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) Tumblr
- Klick, um auf LinkedIn zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) LinkedIn
- Klicken, um einem Freund einen Link per E-Mail zu senden (Wird in neuem Fenster geöffnet) E-Mail
- Klick, um auf Facebook zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) Facebook
- Klicke, um auf X zu teilen (Wird in neuem Fenster geöffnet) X